Heidi Berry: Erinnerungen an Mary Duras, 2015
Ende 1965, ich war Anfang 20 und lebte bei meinen Eltern in Hamburg, lernte ich durch meinen Freund Arne Mary Duras und Arnold Schück kennen. Arne studierte damals in Wien und brachte die Totenmaske des Komponisten Martinů nach Hamburg. Diese war ihm von Marys langjähriger Freundin, Zdenka Podhajsky, übergeben worden. Zdenka wiederum hatte die Totenmaske von der in Paris lebenden Witwe Martinus erhalten.
Mary und Arnold lebten in einer Altbauvilla in der Sophienterrasse am Mittelweg, einer der besten Wohngegenden Hamburgs. Die Wohnung nahm den ganzen ersten Stock ein, sie bestand aus Wohnzimmer, Küche, Bad, zwei Schlafzimmern und einem Atelier. Die Farben der Wände empfand ich als ungewöhnlich (z. T. dunkel), die Decken waren hoch, und die Einrichtung war zeitlos modern (Bauhausstil?). Die Wohnung war perfekt eingerichtet; sie strahlte gleichzeitig Ordnung und Gemütlichkeit aus. Es gab eine umfangreiche Schallplattensammlung und volle Bücherregale.
Marys Atelier war ein großer Raum mit Fenstern nach vorne, eigentlich der schönste Raum der Wohnung. Die Werkzeuge hingen alle an einer Wand. Es faszinierte mich zu sehen, wie Arnold alle Werkzeug an der Wand durch eine Bleistiftumrandung markiert hatte, um Mary das Zurücklegen der Werkzeuge zu erleichtern.
Bei meinen Besuchen wurde ich immer herzlich empfangen. Mary und Arnold boten mir bald das 'Du' an, was damals recht ungewöhnlich war. Bei Sandwiches und Tee wurden interessante Gespräche geführt; auch erzählten Mary und Arnold mir in großen Zügen aus ihrem Leben. Erst viel später, durch das Lesen von Arnolds Memoiren, habe ich wesentlich mehr über Mary und Arnold erfahren. Rückblickend erstaunt es mich noch immer, wie die beiden es mit Mitte 60 geschafft haben, ein neues Leben in Hamburg innerhalb kurzer Zeit so perfekt aufzubauen.
Mary war immer elegant gekleidet (meistens in Hosen); ihr silbernes, gut geschnittenes Haar fiel als erstes auf; ihr schönes, vom Leben gezeichnetes Gesicht hatte eine positive Ausstrahlung. Arnold war relativ klein und immer wie ein 'Gentleman' gekleidet; er hatte fein geschnittene Züge und konnte wunderbar mit viel Humor Anekdoten aus seinem Leben erzählen.
Anfang Juli 1966 fand meine kirchliche Hochzeit mit Arne statt, zu deren Feier im Remter des Hamburger Rathauses Mary und Arnold eingeladen waren. Von dieser Feier gibt es einen Super 8 Film, auf dem Arnold und Mary zu sehen sind. Mary schenkte uns eine kleine Liegende aus Terra Cotta.
Während meines Aufenthaltes in Prag (1967/8) hatte ich keinen telefonischen oder brieflichen Kontakt zu Mary und Arnold, weil dies zu gefährlich war, jedoch sahen wir uns immer, wenn ich meine Eltern in Hamburg besuchte. Mary und Arnold besuchten mich auch im Hause meiner Eltern in Hamburg.
Ich erinnere mich an einen Sommer Anfang der 70-er Jahre, als ich mit meinen beiden Kindern meine inzwischen verwitwete Mutter in Hamburg besuchte, daß Mary und Arnold mich zu einer Aufführung von 'Fiedler on the Roof' einluden. Wir trafen uns am Theater; die Aufführung beeindruckte uns sehr. Mary und Arnold gingen damals häufig ins Theater, in die Oper und in Ausstellungen. Sie erzählten mir, dass sie mit dem Schriftsteller Canetti und dem Dirigenten Mackerras befreundet seien. Arnold hatte Mackerras in den 50-er Jahren, als er in Prag studierte, kennengelernt. Vor ein paar Jahren gelang es mir, [den inzwischen verstorbenen] Charles Mackerras telefonisch nach seinen Erinnerungen an Mary und Arnold zu fragen. Leider war dieses Gespräch nicht ergiebig. Als ich ihn nach seiner ersten Begegung mit Arnold fragte, meinte er, daß er ihn in Hamburg kennengelernt hätte, aber ich verlasse mich lieber auf Arnolds Erinnerungen.
Nach Arnolds Tod im Februar 1974 zog Mary nach Graz, um ihrer Nichte und deren Familie näher zu sein. Sie lebte im ersten Stock einer Villa am Ruckelberg, wo ich sie ein- oder zweimal besuchte. Im Sommer 1976 besuchte ich mit meiner Mutter und meinen Kindern Freunde in der Nähe von Graz. Am Wochenende trafen wir alle Mary in einem Gastgarten in Graz. Es fiel mir wieder auf, wie einfühlsam sie mit Kindern umging (meine Freunde hatten zwei Töchter im Alter meiner Kinder). Marys gute Art, auf Kinder einzugehen, war mir bereits in Hamburg aufgefallen.
Ich erinnere mich an ein Mittagessen mit Mary und ihrer Prager Freundin Marta Jiraskova Havlickova, mit der sie nach dem Ersten Weltkrieg in Paris Bildhauerei studiert hatte. Es war im Gasthaus 'Steirer Eck' (viele Jahre später wurde es ein sogenanntes Nobelrestaurant) im dritten Bezirk in Wien, wo ich damals mit meiner Familie lebte. Ich nehme an, dieses Wiedersehen fand 1975 oder 1976 statt. Ich kannte Marta sehr gut aus meiner Zeit in Prag, in der sie in ihrem Atelier den Kopf meiner damals einjährigen Tochter modelliert hatte.
Ende des Jahres 1978 oder zu Beginn des Jahres 1979 besuchte Mary meine Familie in Wien. Wir lebten damals in einer Altbauwohnung im neunten Bezirk. Ich erzählte Mary davon, daß ich im Herbst 1978 kurz davor gewesen war, mich von meinem Mann zu trennen. Ihre Reaktion erstaunte mich: Sie beschwor mich fast, mir in Zukunft einen solchen Schritt genau zu überlegen, da die Konsequenzen so tiefgreifend seien. In diesem Zusammenhang erwähnte sie die Trennung von Maxim Kopf, ihrem ersten Mann, die anscheinend tiefe Spuren hinterlassen hatte, obwohl ich immer den Eindruck hatte, daß sie glücklich mit Arnold war.
Mary überraschte mich auch, als sie auf meine Klage, dass meine Teenage-Tochter seit kurzem als Oberteil nur noch abgelegte Hemden und Pullover ihres Vaters tragen wolle, erwiderte, ich solle doch froh sein; denn ihre Mutter hätte bei ihr und ihrer/n Schwester[n?] in dem Alter große Mühe und Arbeit mit all den Röcken und Rüschen gehabt...
Bei diesem Besuch filmte ich Mary und meinen damals 8-jaehrigen Sohn ein paar Minuten lang beim Schachspielen (Super 8 Film, ohne Ton).
Ich meine, es war Anfang 1980, als ich Mary an einem Wochenende in Graz besuchte und auch bei ihr übernachtete. Sie war inzwischen in eine Neubauwohnung mit Lift umgezogen. Diese Wohnung war auch wieder perfekt eingerichtet. Sie sprach mehrmals darüber, wie dankbar sie fuer die Hilfe ihrer Verwandten in Graz war. Leider kann ich mich an keine weitere Begegnung mit Mary erinnern, obwohl ich nicht ausschließe, daß sie stattgefunden hat.
Im August 1982 fuhr ich mit meiner Tochter von Wien nach Graz zu Marys Begräbnis.
Post Scriptum:
Vor einigen Jahren besuchte ich im Museum der Stadt Wien eine Ausstellung der Werke der Malerin Marie-Louise von Motesiczky. In dem umfangreichen Katalog der Ausstellung wurde erwähnt, daß die erste Ausstellung von Marie-Louise von Motesiczky in London gemeinsam mit Mary Duras im Jahre 1939 stattgefunden hatte. Inzwischen habe ich erfahren, dass die beiden Künstlerinnen, nachdem sie den Zweiten Weltkrieg gemeinsam in London überlebt hatten, bis zu Marys Tod freundschaftlich verbunden gewesen sind.
London, 2. Juni 2015